Fachkräfte stärken – Wissen, Austausch und Selbstfürsorge für eine wirksame Suizidprävention.

Fachkräfte unterstützen, Leben schützen
Suizidprävention ist eine gemeinsame Aufgabe. Gatekeeper und therapeutische Fachpersonen nehmen eine Schlüsselrolle ein – aber sie müssen diese Verantwortung nicht allein tragen. Durch fortlaufende Weiterbildung, eine Kultur der Selbstfürsorge und Supervision sowie das Wissen um effektive Therapien und gesetzliche Rahmenbedingungen können Sie sicherer und gelassener handeln.
Die DGS möchte Sie dabei unterstützen: durch Informationen, Vernetzung und Mitgefühl. Hilfe holen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Professionalität. In diesem Sinne: Passen Sie auf sich auf, und zögern Sie nie, im Zweifel Kolleg*innen oder Fachpersonen hinzuzuziehen. Gemeinsam können wir dazu beitragen, Leben zu retten und Krisen zu bewältigen.
Behandlungsmethoden in suizidalen Krisen
Wir geben einen Überblick über wissenschaftlich geprüfte Verfahren, die in Krisen wirksam unterstützen – von Psychotherapie bis hin zu medikamentösen Behandlungsansätzen.
Wichtige Aspekte in Krisengesprächen
Ein einfühlsames, klares Gespräch kann Betroffene entlasten und den Weg in weitere Hilfe öffnen. Wir geben Hinweise, worauf es dabei ankommt – und was Sie besser vermeiden sollten.

Hinschauen. Verstehen. Handeln. – Die Bedeutung von Gatekeepern und Fachpersonen in der Suizidprävention
Gatekeeper
Gatekeeper sind Personen, die in ihrem Berufsalltag regelmäßig mit suizidgefährdeten Menschen in Kontakt kommen – z. B. Lehrer*innen, Hausärzt*innen, Pflegekräfte, Seelsorger*innen, Sozialarbeiter*innen oder Polizist*innen. Sie sind oft erste Anlaufstellen, können Warnsignale frühzeitig erkennen und Betroffene an geeignete Hilfsangebote weitervermitteln.
Fachpersonen
Fachpersonen sind insbesondere Psychiater*innen, Psychotherapeut*innen und andere Berufsgruppen im psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich. Diese Berufsgruppen kommen in ihrer täglichen Arbeit mit psychischen Störungen und Suizidalität in Kontakt und spielen eine zentrale Rolle in der Suizidprävention. Sie benötigen fundiertes Wissen, regelmäßige Weiterbildung und auch Unterstützung für ihre eigene seelische Gesundheit.
Unterstützung für die Unterstützenden
Der Kontakt mit Menschen in akuten Krisen ist in der Regel mit einem hohen Maß an Belastung und Druck verbunden. Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht oder die Angst, etwas zu übersehen oder falsch zu machen, können belasten. Fachpersonen und Gatekeeper stehen oft zwischen dem Wunsch zu helfen und den Grenzen ihrer Zuständigkeit oder Einflussmöglichkeiten. Dazu kommt die direkte Konfrontation mit Leid, Verzweiflung und manchmal auch mit eigenen inneren Themen. Umso wichtiger ist es, dass auch Helfende nicht allein gelassen werden – durch Supervision, kollegiale Beratung und eine offene Kultur des Austauschs. Denn nur wer selbst Kraft schöpft, kann auch anderen Halt geben.
Eine Vielzahl von Weiterbildungsmöglichkeiten
Es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen Weiterbildungsangeboten, was die Auswahl manchmal überwältigend machen kann. Nicht jedes Angebot passt automatisch zu den individuellen Bedürf- nissen. Um die Orientierung zu erleichtern, stellen wir Ihnen im Folgenden die wichtigsten Weiterbildungsangebote vor und erklären ihre jeweiligen Schwerpunkte.
Fachtagungen und Kongresse
Die DGS richtet z.B. halbjährlich Fachtagungen aus – eine wissenschaftliche Frühjahrstagung im März und eine mehrtägige Herbsttagung im Herbst. Durch Vorträge und Workshops zu aktuellen Themen der Suizidprävention können Sie Fachwissen erwerben und Ihre Kompetenzen stärken. Die Tagungen bieten auch Raum für den Austausch mit Betroffenen, Angehörigen und Kolleg*innen, was einen wertvollen Perspektivwechsel ermöglicht.
Spezielle Fortbildungen und Kurse
Zahlreiche Schulungsprogramme vermitteln praxisnah den Umgang mit suizidgefährdeten Personen. Beispielsweise existieren Gatekeeper-Schulungen wie z.B. die Workshops für den Umgang mit Suizidalität bei Jugendlichen des Werner-Felber-Instituts. Auf der Website unseres Netzwerkpartners finden Sie weitere Angebote.
Auch Mental Health First Aid-Kurse – MHFA, Erste Hilfe für psychische Gesundheit, sind in Deutschland verfügbar. In diesen mehrtägigen Kursen lernen Sie, psychische Krisen – inklusive Suizidgefahr – zu erkennen und Erste Hilfe zu leisten. Solche Kurse wurden erfolgreich aus Australien übernommen und stehen mittlerweile bundesweit offen. Weitere Informationen finden Sie z.B. auf der Website der MHFA.
Online-Fortbildungen und E-Learning
Immer mehr Inhalte sind digital verfügbar. Universitäten, Fachverbände oder Fortbildungsplattformen bieten Webinare und Online-Zertifikatskurse zur Suizidprävention an. Diese lassen sich oft nach Zielgruppen filtern – etwa spezielle Angebote für Personal in Schulen, Polizei, Pflege oder für bestimmte Risikogruppen, zum Beispiel Prävention bei Jugendlichen, älteren Menschen etc.
Bibliotherapie
Die gezielte Nutzung von Büchern kann helfen, belastende Erfahrungen zu verarbeiten, Wissen über psychische Gesundheit zu vertiefen oder neue Perspektiven zu gewinnen. Auch im Kontext von Suizidalität kann Literatur unterstützend wirken, für Betroffene, Angehörige und Fachpersonen.
Welche Therapien bei Suizidgedanken und nach Suizidversuchen helfen können
Für die Behandlung suizidaler Krisen sowie suizidalen Verhaltens steht ein breites Spektrum an Interventionen zur Verfügung. Diese reichen von akuter Krisenintervention zur kurzfristigen Stabilisierung bis hin zu spezialisierten psychotherapeutischen Verfahren für Menschen nach einem Suizidversuch. Leitlinien wie die S3- und NVL-Empfehlungen betonen dabei die Kombination aus unmittelbarer Sicherung, psychotherapeutischer Begleitung und – falls erforderlich – pharmakologischer Unterstützung. Die folgende Übersicht stellt zentrale Behandlungsmethoden dar.
Suizidfokussierte Psychotherapie
Psychotherapeutische Interventionen spielen eine zentrale Rolle in der Behandlung von Menschen nach einem Suizidversuch. Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit zeigt, dass solche Verfahren – insbesondere Ansätze aus der kognitiven Verhaltenstherapie und in Teilen auch psychodynamisch orientierte Interventionen, wie z.B. Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) – das Risiko eines erneuten Suizidversuchs im Vergleich zu Standardbehandlung oder Kontrollbedingungen um rund ein Drittel verringern können.
Entscheidend scheint dabei zu sein, den Suizidversuch selbst in den Mittelpunkt der Behandlung zu stellen und gezielt auf die Erfahrungen und Muster suizidalen Verhaltens einzugehen. Die bisherigen Befunde sind ermutigend, gleichzeitig besteht jedoch ein erheblicher Bedarf, die Dauer, Frequenz und Intensität spezifischer Interventionen weiter zu erforschen, um ihre Wirksamkeit zu optimieren und Betroffene bestmöglich zu unterstützen.
Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren mehrere spezifische Kurzinterventionen entwickelt, darunter ASSIP, BCBT und RISE, die gezielt am letzten Suizidversuch ansetzen und das Risiko weiterer Suizidversuche verringern sollen.
Attempted Suicide Short Intervention Program (ASSIP)
Das ASSIP ist ein Kurzprogramm, das in der Schweiz entwickelt wurde, um Menschen nach einem Suizidversuch zu unterstützen. Es kombiniert drei strukturierte Therapiesitzungen mit einer zwei Jahre andauernden Briefbegleitung.
- Sitzung 1: Narrative Darstellung des Suizidversuchs, mit dem Ziel, die persönliche Perspektive zu verstehen.
- Sitzung 2: Gemeinsame Videoanalyse des Gesprächs, um individuelle Auslöser und Risikofaktoren zu identifizieren.
- Sitzung 3: Erarbeitung von Bewältigungsstrategien, Notfallkarten und persönlichen Ressourcen.
- Nachsorge: Regelmäßige, standardisierte Briefkontakte über zwei Jahre.
Die erste randomisierte kontrollierte Studie aus Bern zeigte eine Reduktion erneuter Suizidversuche um rund 80 % über 24 Monate im Vergleich zur Standardbehandlung. Allerdings konnten neuere RCT-Studien diese sehr hohen Effekte bislang nicht in gleichem Ausmaß replizieren.
Collaborative Assessment and Management of Suicidality (CAMS)
Ein weiterer Ansatz der suizidfokussierten Psychotherapie ist das CAMS. Im Zentrum steht die direkte Thematisierung der Suizidalität: Therapeut*innen und Patient*innen erarbeiten gemeinsam einen individuellen Suizidpräventionsplan und nutzen motivationsfördernde Techniken, um Ambivalenzen zu bearbeiten und lebensbejahende Alternativen zum Suizid zu entwickeln. Studien zeigen, dass CAMS suizidale Gedanken und psychische Belastung zuverlässig reduziert und von Betroffenen gut akzeptiert wird.
Die Evidenz zur Verhinderung von suizidalem Verhalten ist jedoch bisher eingeschränkt: Meta-Analysen fanden keine konsistenten Vorteile hinsichtlich erneuter Suizidversuche, auch wenn einzelne Studien kurzfristige positive Effekte andeuten. Insgesamt gilt CAMS damit als wirksamer Ansatz zur Reduktion von Suizidgedanken.
Relapse Prevention Intervention after Suicidal Event (RISE)
Das RISE-Programm wurde in Deutschland für den Einsatz im akutpsychiatrischen Setting entwickelt. Es richtet sich an Menschen nach einem Suizidversuch oder einer akuten suizidalen Krise und umfasst fünf Sitzungen à 50–60 Minuten (in Einzelfällen bis zu 90 Minuten), die innerhalb von zwei bis drei Wochen durchgeführt werden. Ziele des strukturierten und manualisierten Programms sind: die Krisenexpertise der Patient:innen zu erhöhen und individuelle Warnzeichen zu erkennen, Handlungsstrategien für das Krisenmanagement zu entwickeln und den funktionalen Umgang mit suizidalen Gedanken zu fördern.
Erste Studien im deutschen klinischen Alltag zeigen, dass RISE gut akzeptiert und praktisch umsetzbar ist. Diese Pilotdaten deuten zudem darauf hin, dass die Intervention das Risiko erneuter suizidaler Handlungen reduzieren und die Therapietreue verbessern kann. Eine große randomisierte Studie zur Wirksamkeit des Programms wird Anfang 2026 beginnen. RISE ergänzt damit internationale Kurzinterventionen wie ASSIP oder BCBT, legt den Fokus jedoch besonders auf die strukturierte Verhaltensanalyse, den Umgang mit belastenden Suizidgedanken und die Bewältigung zukünftiger Krisen.
Kognitive Verhaltenstherapie speziell für Suizidalität (KVT‑SP)
Spezielle, auf Suizidalität fokussierte CBT-Programme (oft 10–12 Sitzungen) haben sich als sehr wirksam erwiesen. Ziel ist, fokussiert unmittelbar suizidales Erleben zu bearbeiten und den Behandlungsschwerpunkt nicht auf hintergründige psychische Erkrankungen wie Depression zu setzen. Typische Elemente sind eine strukturierte Risikoabschätzung, die Arbeit an auslösenden Faktoren und die Entwicklung eines Notfallplans.
Brief Cognitive Behavioral Therapy (BCBT)
Die Brief Cognitive Behavioral Therapy (BCBT) ist eine spezifische Kurzform der kognitiven Verhaltenstherapie für Suizidprävention (CBT-SP), die ursprünglich für US-Militärveteranen entwickelt wurde. Ihr Hauptziel ist die Verhinderung erneuter Suizidversuche.
Aktuelle randomisierte kontrollierte Studien belegen, dass BCBT bei Personen nach einem Suizidversuch die Wahrscheinlichkeit weiterer suizidaler Handlungen signifikant senkt. So konnte in einer Untersuchung gezeigt werden, dass sich die Rate von Suizidversuchen in den sechs Monaten nach Entlassung um etwa 60 % reduzierte.
Die bis zu vier Sitzungen umfassende Kurzintervention fokussiert auf die Entwicklung von Bewältigungsstrategien in Krisen, die Stärkung der Motivation zum Weiterleben, die Bearbeitung der sogenannten „Life vs. Death Ambivalence“ sowie das Einüben konkreter Notfallmaßnahmen.
Einschränkend ist zu beachten, dass die meisten Daten aus dem militärischen Kontext in den USA stammen. Die Übertragbarkeit auf andere Bevölkerungsgruppen und Versorgungssysteme ist daher noch unzureichend untersucht und bedarf weiterer Forschung.
Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT/DBT-A)
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) ist das am besten empirisch belegte Verfahren zur Behandlung von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Ihr Ziel ist es, akute Gefährdungen zu reduzieren und langfristig ein Leben aufzubauen, das von den Betroffenen als lebenswert erlebt wird. Die Methode kombiniert verhaltenstherapeutische Techniken mit achtsamkeitsbasierten Ansätzen. Studien zeigen, dass DBT selbstverletzendes Verhalten verringert und die emotionale Stabilität verbessert. Für Jugendliche mit selbstverletzendem Verhalten wurde die Therapie als DBT-A adaptiert, die ebenfalls gute Wirksamkeit aufweist. Zentrale Module sind Achtsamkeit, Emotionsregulation, zwischenmenschliche Fertigkeiten sowie der Aufbau von Selbstwert. In klinischen Settings wird DBT meist in multiprofessionellen Teams umgesetzt und umfasst neben Einzeltherapie auch Skills-Gruppentraining sowie Telefon-Coaching in Krisensituationen.
Allerdings ist die Wirksamkeit von DBT zur spezifischen Verhinderung erneuter Suizidversuche bislang nicht eindeutig belegt; die bisherige Evidenz bezieht sich vor allem auf die Reduktion von nicht-suizidalem selbstverletzendem Verhalten.
Medikamentöse Ansätze
Eine psychotherapeutische Intervention schließt eine medikamentöse Unterstützung nicht aus – im Gegenteil, häufig ist ein kombinierter Behandlungsansatz am effektivsten. Begleitende psychische Störungen (z. B. Depression, Angst, Psychosen) sollen gemäß Leitlinien behandelt werden, etwa mit Antidepressiva oder Antipsychotika. Darüber hinaus gibt es einige spezielle Befunde zur pharmakologischen Suizidprävention:
Lithium gilt als Goldstandard in der Phasenprophylaxe bei bipolaren Störungen. Zahlreiche Langzeitstudien und Metaanalysen zeigen, dass Lithium nicht nur Rückfälle in affektive Episoden verhindert, sondern auch das Risiko für Suizid und Suizidversuche signifikant senkt. Trotz dieser ausgeprägten suizidprotektiven Wirkung besitzt Lithium keine spezifische Zulassung zur Suizidprävention. Aufgrund der engen therapeutischen Breite und möglicher Nebenwirkungen – insbesondere Nieren- und Schilddrüsenschädigungen – muss die Therapie stets individuell abgewogen und regelmäßig überwacht werden.
Clozapin, ein atypisches Antipsychotikum, ist das einzige Neuroleptikum, für das ein suizidpräventiver Effekt nachgewiesen wurde, insbesondere bei therapieresistenter Schizophrenie. Randomisierte kontrollierte Studien (z. B. die InterSePT-Studie) belegen eine signifikante Reduktion suizidalen Verhaltens. In den USA besteht hierfür eine spezifische FDA-Zulassung bei Schizophrenie und schizoaffektiven Störungen. In Europa ist Clozapin zwar nicht explizit für die Suizidprävention zugelassen, wird jedoch leitliniengestützt bei erhöhter Suizidalität empfohlen. Wegen des Risikos schwerer Nebenwirkungen – etwa Agranulozytose und metabolische Störungen – sind eine strenge Indikationsstellung und engmaschige Blutbildkontrollen zwingend erforderlich.
Ketamin und Esketamin: In den letzten Jahren gab es bedeutende Fortschritte in der Erforschung glutamaterger Substanzen zur schnellen Reduktion depressiver Symptome und Suizidgedanken. Der N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA)-Antagonist Esketamin ist in Deutschland als Nasenspray für therapieresistente Depression zugelassen; zusätzlich besteht eine Zulassungserweiterung für psychiatrische Notfälle, die eine rasche Reduktion depressiver Symptome erfordern. Esketamin wird dabei ausschließlich unter stationären Bedingungen und ärztlicher Aufsicht angewendet. Klinische Erfahrungen zeigen, dass innerhalb weniger Stunden auch Suizidgedanken abnehmen können. Allerdings ist die Evidenzlage widersprüchlich: In randomisierten Studien unterschied sich intranasales Esketamin hinsichtlich der Reduktion von Suizidgedanken nicht signifikant von Placebo. Demgegenüber weist racemisches Ketamin in Studien ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis auf und gilt als vielversprechende pharmakologische Option mit sehr schneller Wirkung. Dennoch bleiben zahlreiche Fragen offen – etwa zu optimaler Behandlungsstrategie, Langzeitsicherheit und dem Umgang mit wiederholten Anwendungen. Eine vorsichtige Integration in die klinische Praxis sollte daher nur im Rahmen bestehender Regularien erfolgen, begleitet von umfassender Pharmakovigilanz. Zu berücksichtigen ist zudem, dass Ketamin nicht bei allen suizidalen Patient*innen wirksam ist und alternative therapeutische Optionen weiterhin erforderlich bleiben. Bislang liegt keine Studie vor, die den spezifischen Einfluss von Ketamin auf die Prävention von Suizidversuchen und Suiziden systematisch untersucht hat.
Effekte der Elektrokrampftherapie auf Suizidalität
Die bisherigen Forschungsergebnisse zur Elektrokrampftherapie (EKT) als suizidpräventive Intervention sind uneinheitlich. Die Leitlinien der American Psychiatric Association (APA) empfehlen EKT insbesondere bei intensiv ausgeprägten Suizidgedanken. Auch die deutsche S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ weist darauf hin, dass EKT eine ergänzende Option in solchen Situationen darstellen kann, deren Stärke vor allem im schnellen Wirkungseintritt liegt. Allerdings spricht sie lediglich eine offene Empfehlung aus, da die Evidenzqualität bezüglich der Reduktion des Suizidrisikos sehr niedrig ist, die Umsetzung aufwändig und die Anwendung aufgrund begrenzter regionaler Verfügbarkeit eingeschränkt bleibt.
Die Evidenzlage zur tatsächlichen Reduktion von Suizidversuchen oder Suiziden durch EKT bleibt widersprüchlich. Einzelne Studien berichten über einen protektiven Effekt, andere weisen darauf hin, dass dieser Schutz nur von kurzer Dauer sein könnte. Randomisierte, verblindete Studien sind aufgrund der Methode schwer realisierbar. Zudem wird EKT überwiegend bei besonders schwer erkrankten Patient*innen eingesetzt, was die Interpretation der Ergebnisse zusätzlich erschwert. Daher sind gut kontrollierte Beobachtungsstudien notwendig, um die Zusammenhänge besser zu klären.
Eine aktuelle Metaanalyse konnte keinen konsistenten Zusammenhang zwischen EKT und einem verminderten Risiko für Suizide nachweisen. Gleichzeitig zeigt sie jedoch, dass EKT mit einem reduzierten Risiko für die Gesamtmortalität (all-cause mortality) assoziiert ist, was auf mögliche breitere Überlebensvorteile hinweist – auch wenn die spezifischen Effekte auf die Reduktion des Suizidrisikos weiterhin unklar bleiben.
Sicherstellung letaler Mittel und Methodenrestriktion
Der Zugang zu potenziell tödlichen Mitteln sollte – besonders in akuten Krisen – gezielt eingeschränkt werden. Wenn Mittel nicht unmittelbar verfügbar sind, sinkt das Risiko für einen Suizid deutlich. Fachpersonen sollten mögliche Methoden offen ansprechen und gemeinsam mit Betroffenen Maßnahmen zur Sicherung erarbeiten. Methodenrestriktion ersetzt keine Therapie, kann aber lebensrettend sein.
Krisen bewältigen – rechtlich abgesichert handeln
Auch bei bester Prävention können akute Krisen entstehen. Hier finden Sie einen Überblick zum richtigen Vorgehen und den wichtigsten rechtlichen Grundlagen.
Helfenden Hilfe geben – Selbstfürsorge als Grundlage
Ausreichende Erholung, klare Grenzen, regelmäßige Pausen und kollegialer Austausch helfen, Belastungen vorzubeugen und die Handlungsfähigkeit zu erhalten.

Gespräche mit suizidgefährdeten Menschen – hilfreiche Orientierung
Als Gatekeeper oder Fachperson kommen Sie möglicherweise in die Situation, mit Menschen zu sprechen, die in einer suizidalen Krise stecken. Solche Gespräche sind anspruchsvoll. Sie können Unsicherheit auslösen und fordern ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Präsenz und Klarheit. Gleichzeitig bieten sie eine wichtige Chance: Ein ernst gemeintes, zugewandtes Gespräch kann entlasten, Hoffnung stiften und der Einstieg in weitere Hilfen sein. Wir haben praktische Hinweise zusammengestellt, wie ein solches Gespräch hilfreich geführt werden kann und welche Reaktionen eher kontraproduktiv oder sogar gefährlich sind.
- Nehmen Sie Sorgen ernst.
- Wenn eine Person von Belastungen, Leid oder konkreten suizidalen Gedanken berichtet, begegnen Sie ihr empathisch. Sätze wie „Es tut mir leid, dass es Ihnen so geht.“ oder „Das stelle ich mir sehr belastend für Sie vor.“ zeigen, dass Sie zuhören und ernst nehmen, was gesagt wird.
- Schaffen Sie eine geeignete
Gesprächsatmosphäre.- Achten Sie – wenn möglich – auf eine ruhige, geschützte Umgebung mit ausreichend Zeit. Eine wertschätzende Gesprächssituation ohne Zeitdruck erleichtert es vielen Menschen, sich zu öffnen.
- Zeigen Sie Geduld und bleiben Sie präsent.
- Geben Sie der betroffenen Person Raum, ihre Gedanken in ihrem Tempo zu äußern. Unterbrechen Sie nicht vorschnell und vermeiden Sie es, das Gespräch zu drängen. Präsenz und Ruhe signalisieren, dass Sie wirklich da sind und zuhören.
- Stellen Sie klare, offene Fragen.
- Suizidgedanken sollen direkt und sensibel angesprochen werden. Fragen Sie z. B.: „Denken Sie manchmal daran, nicht mehr leben zu wollen?“ oder „Haben Sie Gedanken daran, sich das Leben zu nehmen?“
- Seien Sie verbindlich.
- Bieten Sie konkrete Unterstützung an, z. B. durch feste Absprachen: „Ich rufe Sie nächsten Mittwoch an.“ „Ich begleite Sie gern zu dem Termin.“
- Zeigen Sie Verlässlichkeit.
- Vermitteln Sie, dass die Person Ihnen wichtig ist und sie auf Sie zählen kann: „Ich bin an Ihrer Seite.“ „Sie sind mir wichtig.“
- Erarbeiten Sie gemeinsam einen Plan.
- Überlegen Sie mit der betroffenen Person, was ihr im Moment helfen könnte und wie sie sich selbst entlasten kann. Fragen Sie gezielt: „Was brauchen Sie jetzt – wer oder was könnte unterstützen?“
- Informieren Sie über Hilfsan- gebote.
- Falls möglich, motivieren Sie die Person, sich professionelle Hilfe zu suchen – und nennen Sie konkrete Adressen oder begleiten Sie sie im nächsten Schritt.
- Bereiten Sie sich auf den Ernstfall vor.
- Überlegen Sie im Vorfeld, an wen sich die Person im Krisenfall wenden kann, wenn Sie selbst nicht erreichbar sind. Eine Liste mit Telefonnummern oder ein einfacher Notfallplan kann in akuten Situationen entscheidend sein.
- Kennen Sie Ihre eigenen Grenzen.
- Wenn Sie merken, dass Sie selbst überfordert sind oder keinen Zugang zur Person finden: Holen Sie sich Unterstützung durch Kolleg*innen, Vorgesetzte oder Krisendienste. Auch wenn die betroffene Person nicht mit Ihnen sprechen möchte, kann es hilfreich sein herauszufinden, wer stattdessen für ein Gespräch in Frage kommt.
Reaktionen, die im Gespräch vermieden werden sollten
Nicht jede gut gemeinte Reaktion wirkt im Gespräch mit suizidgefährdeten Menschen unterstützend. Manche Aussagen oder Verhaltensweisen können die Situation sogar verschlimmern oder Betroffene zusätzlich belasten. Es ist deshalb wichtig, sich der eigenen Worte und Haltung bewusst zu sein. Die folgenden Hinweise helfen, typische Stolperfallen zu vermeiden und stattdessen Sicherheit und Vertrauen zu fördern.
- Keine Vorwürfe oder Wertungen.
- Vermeiden Sie Aussagen wie: „So etwas darf man doch nicht denken.“ oder „Das ist egoistisch.“ Schuldzuweisungen verstärken oft das Gefühl von Isolation oder Versagen.
- Keine vorschnellen Lösungen anbieten.
- Gut gemeinte Ratschläge wie „Dann such dir doch einfach einen neuen Job“ oder „Du brauchst nur jemanden zum Reden“ verkennen oft die Tiefe der Krise. Was von außen leicht wirkt, ist für Betroffene meist keine realistische Option mehr.
- Vermeiden Sie unklare oder verharmlosende Sprache.
- Formulierungen wie „Haben Sie schlechte Gedanken?“ oder „Wollen Sie etwas Dummes tun?“ können unverständlich oder bagatellisierend wirken. Sprechen Sie Suizidgedanken klar, aber sensibel an.
- Versprechen Sie keine Ver- schwiegenheit.
- Aussagen wie „Ich sage das niemandem weiter, versprochen.“ können problematisch sein, wenn tatsächlich Lebensgefahr besteht. Machen Sie deutlich, dass Sie Verantwortung tragen – und handeln Sie im Zweifel für den Schutz der Person.
- Spielen Sie Probleme nicht herunter.
- Sätze wie „Morgen sieht die Welt schon anders aus.“ oder „So schlimm ist es doch nicht.“ können verletzend sein. Nehmen Sie die Wahrnehmung der betroffenen Person ernst, auch wenn sie für Sie schwer nachvollziehbar ist.
- Vermeiden Sie Provokationen.
- Hinter Suizidgedanken steckt fast immer ein ernstes, tiefes Leiden. Ironie oder provokante Aussagen wie „Das machst du doch eh nicht.“ oder „Du willst doch nur Aufmerksamkeit.“ sind respektlos und können Schaden anrichten.
Als Fachkraft mitgestalten:
DGS-Mitglied werden
Als Mitglied der DGS erhalten Sie Zugang zu aktuellem Fachwissen, vergünstigten Tickets zu unseren Tagungen und Zugang zu einem multiprofessionellen Netzwerk. Außerdem können sich Fachkräfte bei der DGS auf vielfältige, praxisnahe Weise einbringen: Fachbeiträge und Praxisberichte für die Suizidprophylaxe einreichen, Vorträge oder Workshops auf unseren Tagungen und Fachtagen anbieten sowie Fortbildungsformate mitentwickeln. Ebenso wertvoll ist die Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit — etwa durch Interviews, Statements für Presse und Social Media oder das Teilen von Fachwissen in Kampagnen und Fachnetzwerken.

Akute Krisen und rechtliche Grundlagen
Trotz Prävention und Therapie kann es zu akuten Krisensituationen kommen, in denen schnelles und entschlossenes Handeln gefragt ist. Dieser Abschnitt gibt einen Überblick, wie im Notfall vorzugehen ist und welche rechtlichen Rahmenbedingungen Fachkräfte beachten müssen. Die nachfolgenden Inhalte ersetzen keine rechtliche Beratung.
Schweigepflicht vs. Schutzpflicht
Grundsätzlich gilt die Schweigepflicht, aber bei unmittelbarer Selbst- oder Fremdgefährdung dürfen Sie diese brechen, um Hilfe zu holen. Das Leben der/s Betroffenen zu retten hat Vorrang vor der Vertraulichkeit. Informieren Sie im Ernstfall z.B. den sozialpsychiatrischen Dienst oder die Polizei – dies ist gesetzlich gedeckt und geboten.
Unterbringung nach PsychKG
Im Idealfall erfolgt eine Aufnahme in eine psychiatrische Klinik freiwillig, da dies die Zusammenarbeit erleichtert und zur Stabilisierung beiträgt. In akuten Situationen ist das jedoch nicht immer möglich. Wenn eine unmittelbare Selbst- oder Fremdgefährdung besteht, kann als letzter Schritt eine Unterbringung auch gegen den Willen der betroffenen Person erfolgen. Rechtsgrundlage sind die jeweiligen Landesgesetze, die eine zeitnahe gerichtliche Bestätigung vorschreiben.
Die Initiative dazu kann von Ärzt*innen, Polizei oder Ordnungsbehörden ausgehen. Für Fachpersonen ist es wichtig zu wissen, wie eine Gefährdungsmeldung eingeleitet wird – zum Beispiel über den Notruf oder durch Kontakt mit dem Amtsarzt bzw. Gesundheitsamt. Die konkreten Abläufe und Zuständigkeiten unterscheiden sich je nach Bundesland.
Dokumentation und Sorgfalt
Eine sorgfältige Einschätzung der Suizidgefahr ist nicht nur für die klinische Versorgung entscheidend, sondern auch für die Begründung möglicher Schutzmaßnahmen. Dokumentieren Sie daher alle Schritte umfassend: Ihre Einschätzung der Suizidgefahr (z. B. suizidale Gedanken, Pläne, verfügbare Mittel), den Inhalt des Gesprächs sowie die eingeleiteten Maßnahmen.
Eine lückenlose Dokumentation ist im Nachhinein von großer Bedeutung, etwa wenn rechtliche Fragen auftreten. Zudem gehört es zur beruflichen Sorgfaltspflicht, Suizidrisiken ernst zu nehmen und angemessene Maßnahmen einzuleiten – ein Unterlassen kann haftungsrechtliche Konsequenzen haben.
Einbezug Dritter
Binden Sie nach Möglichkeit das persönliche Umfeld der gefährdeten Person mit ein (sofern diese zustimmt oder es ohne Zustimmung gerechtfertigt ist). Angehörige oder Freunde können bei der engmaschigen Betreuung unterstützen oder dem Kriseninterventionsteam wichtige Informationen liefern. Beachten Sie jedoch den Datenschutz: Offene Informationsweitergabe an Dritte ist nur bei akuter Gefahr zulässig. In weniger dringlichen Fällen holen Sie besser das Einverständnis der Betroffenen ein, bevor Sie z.B. Angehörige ins Vertrauen ziehen (z.B. durch eine Schweigepflichtsentbindung).
Nach einem Suizid
Sollte es trotz aller Prävention zu einem Suizid gekommen sein, gibt es keine strafrechtliche „Arzthaftung“ dafür, solange Sie nach bestem Wissen gehandelt und dokumentiert haben. Wichtig ist dann, auch für sich selbst Unterstützung zu suchen (Supervision, kollegiales Gespräch) und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um das Erlebte zu verarbeiten.

Belastungen erkennen, Grenzen wahren
Wer beruflich anderen hilft, muss auch gut für sich selbst sorgen. Die Begleitung suizidaler Menschen gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben im Berufsalltag: nicht jeder Hilferuf wird erkannt, und trotz aller Bemühungen lässt sich ein Suizid nicht immer verhindern.
Diese Belastungen, kombiniert mit Stigmatisierung und hoher Arbeitslast, führen oft zu erheblichem Stress. Studien zeigen: Ärzt*innen und andere Fachkräfte sind besonders gefährdet, an Depression oder Burn-out zu erkranken. Das „Immer zuerst die anderen“-Prinzip erhöht das Risiko psychischer Erschöpfung deutlich.
Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit
Es gilt: Wer anderen hilft, muss auch auf die eigene seelische Gesundheit achten. Selbstfürsorge sollte daher fester Bestandteil des beruflichen Handelns sein.
Indem Sie auf die eigene psychische Gesundheit achten, erhalten Sie langfristig Ihre Empathie und Handlungsfähigkeit im Beruf – was letztlich auch den von Ihnen betreuten Menschen zugutekommt. Zögern Sie nicht, Unterstützung anzunehmen, denn nur in einem gesunden Team kann Suizidprävention optimal gelingen.

Selbstfürsorge im Berufsalltag stärken
Quellenangaben
Zeitschriftenartikel
- Jollant, F., Colle, R., Nguyen, T. M. L., Corruble, E., Gardier, A. M., Walter, M., Abbar, M., & Wagner, G. (2023). Ketamine and esketamine in suicidal thoughts and behaviors: A systematic review. Therapeutic Advances in Psychopharmacology, 13, 1–25. https://doi.org/10.1177/20451253231151327
- Rhee, T. G., Shim, S., Nasir, M., McIntyre, R., Kaster, T., & Wilkinson, S. (2025, March 31). Longitudinal associations of electroconvulsive therapy with all-cause mortality and suicide deaths in depression and other psychiatric disorders: A systematic review and meta-analysis. Preprint. https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-6180102/v1
- Sobanski, T., Josfeld, S., Peikert, G., & Wagner, G. (2021). Psychotherapeutic interventions for the prevention of suicide re-attempts: A systematic review. Psychological Medicine, 51(15), 2525–2540. https://doi.org/10.1017/S0033291721003081
- Sonnenmoser, M. (2018). Resilienz: Ein Konzept im Wandel. Deutsches Ärzteblatt PP, 11.https://www.aerzteblatt.de/archiv/resilienz-ein-konzept-im-wandel-923964ce-140b-42e9-80b2-9dc57bbf44b9
Bücher / Buchkapitel
- Wagner, G., Bahlmann, L., & Lübbert, M. (2026). Psychotherapeutische Intervention nach einem Suizidversuch: Das RISE-Kurzzeitprogramm. Hogrefe.
- Teismann, T., Koban, C., Illes, F., & Oermann, A. (2016). Psychotherapie suizidaler Patienten: Therapeutischer Umgang mit Suizidgedanken, Suizidversuchen und Suiziden. Hogrefe.
Berichte
- Schneider, B., Lindner, R., Giegling, I., Müller, S., Müller-Pein, H., Rujescu, D., Urban, D., & Fiedler, G. (2021). Suizidprävention in Deutschland: Aktueller Stand und Perspektiven. Bundesministerium für Gesundheit. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Praevention/abschlussbericht/suizidpraevention_abschlussbericht_bf.pdf